Das System damals funktionierte nämlich ganz anders als jenes, das 2.500 Jahre später den Präsidenten Obama hervorbringen sollte, und damit ist nicht gemeint, dass es in Athen kein Fernsehen gab oder dass Frauen vom politischen Prozess ausgeschlossen waren. Der entscheidende Unterschied ist: Die Mitglieder der Athener Regierung, des sogenannten Rats der 500, wurden nicht gewählt.
Sie wurden ausgelost.
Was heute auf den ersten Blick verrückt anmutet, erschien damals als einzig sinnvolle Lösung. Die Amtszeiten waren begrenzt. Die meisten Athener Bürger hatten irgendwann in ihrem Leben ein politisches Amt inne. Dadurch verschwand der Unterschied zwischen Bürgern und Politikern, Regierten und Regierenden, zwischen Oben und Unten, das Volk herrschte über sich selbst, das ganze Volk. Es gab kein Repräsentationsproblem. Es gab keine Wahlkämpfe, keine uneingelösten Versprechen. Das Los machte alle gleich.
Eine Kaste von Berufspolitikern, wie sie in der Gegenwart existiert, wäre den Athenern so absurd vorgekommen wie den Menschen heute das Losverfahren. In der Politik sollte es damals um die Sache gehen, nicht um Karriere und Durchsetzungsvermögen. Nur ganz wenige Posten, etwa im Bereich des Militärs oder der Finanzen, wurden durch Wahlen besetzt. In allen anderen Bereichen sollte das Volk das Sagen haben, normale Leute, und das Los galt als das zuverlässigste Verfahren, um sie zu bestimmen.
Aristoteles schrieb im 4. Jahrhundert vor Christus: "So gilt es, will ich sagen, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt."
Über Jahrhunderte war Aristoteles’ Regel ein Grundsatz der politischen Philosophie. Demokratie bedeutete: Losverfahren. So war es in der Antike, so war es in den italienischen Stadtstaaten der Renaissance, in Venedig und Florenz. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts wiederholte Montesquieu fast wortgleich die Gedanken von Aristoteles: "Wahl durch Los entspricht der Natur der Demokratie, Wahl durch Abstimmung der Natur der Aristokratie."
Wenige Jahre später, 1762, schrieb Jean-Jacques Rousseau in seinem berühmten Werk Vom Gesellschaftsvertrag: "In jeder wahren Demokratie ist ein Amt kein Vorteil, sondern eine drückende Last, die man gerechterweise nicht dem einen mehr als dem anderen auferlegen darf. Das Gesetz allein darf sie dem auferlegen, auf den das Los fällt."
Nur das Losverfahren ist demokratisch, das war lange unumstritten.
Rechtspopulismus: Zur Wahl steht: Die Demokratie | ZEIT ONLINE